DAS ANDERE LAND
Eines Tages geschah es ihm dass er sich wiederfand, schwerstverletzt in einem unbekannten, feindlichen Land. Nur Dunkelheit und Verwüstung fand er vor und er wusste nicht wie er in diesem Land leben sollte. Das andere Land, aus dem er kam, konnte er kaum sehen und es war ihm nicht möglich dorthin zu gehen. Es gab keinen Weg dorthin. Unfähig zu gehen blieb ihm nichts anderes übrig als die verbrannte Luft zu atmen, die ihn zu vergiften drohte.
Nach einiger Zeit jedoch war es ihm möglich aufzustehen, sich umzusehen. Der Trümmerstaub hatte sich gelegt und er konnte seine neue Welt klarer sehen. Er sah die scharfkantigen Felsen, die auf einem Weg lagen. Er ging ihn, doch er musste viele Pausen machen, um wieder zu Kräften zu kommen. Manchmal fiel er in ein tiefes, schwarzes Loch, welches gespickt war mit scharfen und spitzen Steinen, die sich tief in sein Fleisch rammten. Als er es schaffte, das erste Mal aus einem solchen Loch zu krabbeln, dauerte es lange bis er weitergehen konnte. Er merkte aber, dass die Umgebung heller geworden war und er freute sich über das Licht. Er sah seine alte Welt wieder besser, spürte aber, dass die Verbindung zu ihr noch weit entfernt war.
Auf seinem weiteren Weg konnte er den vielen anderen schwarzen Löchern ausweichen und er lernte in der neuen Welt zu leben. Die Erinnerungen an seine alte Welt halfen ihm dabei. Die unbesiegbare Liebe in ihm, die er aus der alten Welt mitgebracht hatte, half ihm das neue Leben anzunehmen. Zwar schmerzte die Erinnerung und Sehnsucht nach seiner so sehr geliebten, alten Welt immer und immer wieder, doch er begriff, dass er weiter leben konnte – neu und auf eine andere Art und Weise.
Mittlerweile hatte er es geschafft Kontakt zur alten Welt aufzunehmen. Viele Freunde und liebe Menschen standen dort auf der anderen Seite und er erfuhr, dass viele schon von Beginn an dort standen und auf ihn warteten. Sie freuten sich wenn sie ihn sahen und sich mit ihm austauschen konnten. Viele ließen sich seine Geschichte erzählen, seinen schweren Weg im anderen Land. Manche verstanden ihn nicht mehr und gingen fort.
© Marc Hau
Mitten im Frühling vom Winter umfangen
Wie ich den Tod meines Sohnes erlebte und seither versuche, mit Trauer und Untröstlichkeit zu leben, und in meiner Trauer das erste Mal wieder Farben aufleuchteten.
Artikel von Kerstin Hau in der Zeitschrift Leben&Tod http://www.lebenundtod.com/zeitschrift,200.php
Zum Artikel: Mitten im Frühling vom Winter umfangen
Gedichte von Roswitha Bräuner
geschrieben am 5. Todestag ihres Sohnes
Schmerzen jeden Tag
Suizid wahrer Albtraum
Leben ist mühsam
Trauer
Tod Suizid
Ich vermisse Dich
Zeit heilt nicht alle
Wunden
Zukunft
freudige Erwartung
wieder Pläne schmieden
dumpfes dahin leben beenden
Wann?
Suizid
immer unbegreiflich
Du fehlst mir
Erinnerungen und Liebe bleiben
unvergesslich
Todestag
wiederkehrende Erinnerung
Albtraum ganz nah
unbeschwertes Glück weit weg
WARUM?
Glück
ist vergangen
Du hast gelebt
Dankbarkeit für einen einzigartigen
Sohn
Was ich brauche
Ich brauche meine Trauer,
muss sie manchmal verdrängen,
und manchmal aussprechen,
lernen zu akzeptieren,
dass es so ist, wie es ist.
Ich brauche meine Tränen,
mein Schweigen oder Reden,
meine Ratlosigkeit, meine Wut,
meinen Rückzug, meine Dunkelheit.
Glücklichsein müsste ich spielen,
noch kann ich es nicht sein.
Tut mir leid, ich muss mich vergraben,
wenn du mich aus meiner Trauer heraus reißen
willst, weil sie dir Angst macht.
Ich muss mich wehren gegen dich,
wenn du mir sagst,
was ich fühlen darf und was nicht,
du allzu gut weißt, was ich tun muss.
Rede mir das Nachdenken
über Schuld nicht aus,
versuche zu verstehen, warum ich das tue
achte all das, was ich mache
als einen Versuch, zu überleben.
Verurteile mich nicht
wegen meines Schattendaseins,
dräng mich nicht, nach vorne zu schauen,
das ist zu weit weg!
Lass die wohlgemeinten Phrasen,
sie verletzen mich nur noch mehr.
Verlange nicht,
dass ich wieder die Alte werde.
Das kann ich nicht.
Was ich hoffe ist,
dass ich neu heil werden kann,
und du mir dazu die Zeit lässt,
die ich brauche.
Trauern ist schwer,
bitte mach es mir nicht noch schwerer
indem du mich ändern willst
das schaffe ich schon selbst.
Bleib einfach bei mir
und halte mich so aus,
wie ich im Moment bin
Tabitha Oehler
Raum haben
Raum haben
um sich dem Verlust zu widmen.nicht verdrängen, was schmerzt.
Raum haben,
um so zu sein,wie man im Moment fühlt und was nicht einfach zu ändern ist.
Raum haben
für verlorene Träume für Ratlosigkeit und Schweigen
Raum haben
für Tränen, die da sind – oder auch nicht..
Zeit haben,
nicht hören müssen, was man fühlen darf und tun muss,
Zeit haben
Unsagbares in zu Worte fassen und auf Verständnis hoffen.
Zeit haben
für kleine Schritte und „Rückschritte“, fürs Kreise ziehen und still stehen
Zeit haben
für die Suche nach dem was war und dem was sein kann
Mut haben,
sich zu erinnern,und das „nie wieder“ zu ertragen
Mut haben
den Ort zu suchen, wo die Toten sind um sie sicher sein zu lassen.
Raum haben für all das, was da ist
Zeit haben den Ort zu finden wo Lebendigkeit sich zeigt
Mut haben den eigenen Weg zu gehen
Einfach – Raum haben, für Trauer
Tabitha Oehler
Wenn ich nur wüsste wo du bist
Wie wird es sein, dort, wo mein geliebter Mensch jetzt ist? Wird er noch sein, geht es ihm gut, spüre ich noch immer seine Hand oder ist da nichts mehr? Fragen, die sich unweigerlich stellen, wenn wir einen geliebten Menschen verlieren. Wir erhalten keinen Anruf von drüben, sehen keine Zeichen und niemand kann uns sagen, wo sie nun sind, unsere Toten.
Und doch wollen wir es wissen, wollen erkennen wohin wir unsere Gedanken der Liebe hindenken können, möchten beruhigt sein, dass wir uns nicht mehr sorgen müssen.
Wir sind zunächst nur abgeschnitten von dem, was wir verloren haben. Er oder sie scheinen einfach verschwunden. Wir fangen an zu suchen, wollen den Kontakt nicht einfach so abgebrochen sehen. Wir können uns am Schmerz festhalten indem wir uns keine Freude mehr gönnen oder wir können uns auch auf den Weg machen und den Ort suchen, an dem die Toten ruhen können. Da stehen wir unweigerlich vor der Frage: was kommt nach dem Tod?
Natürlich haben wir schon viel gehört von Jenseitsvorstellungen in unserer Kultur, aber auch von den Hoffnungen anderer Religionen. Wir wollen nicht an die Hölle glauben und auch nicht, dass einfach alles vorbei sein soll. Und langsam, irgendwie, entdecken wir mehr und mehr eine Ahnung von dem, wo unsere Toten sein können. Und dabei entdeckt jeder einzelne Mensch einen ganz anderen Ort, eine ganz eigene Vorstellung. Ja, diese Vorstellung hilft dabei, einen wirklich guten Ort zu finden für den, den wir verabschieden mussten. Wir entdecken, dass wir den geliebten Menschen nicht im Dunkel des Vergessens lassen müssen, sondern ihn mitnehmen können in ein sich verändertes Leben. Doch nicht als eine ständig schmerzende Erinnerung, sondern im Wissen, dass es diesen Ort gibt, an dem er oder sie gut sein kann. Und dieser Ort kann kein allgemeiner sein, er kann nur so einzigartig sein, wie der Mensch, der ihn sich denkt für den einzigartigen Menschen der tot ist. Natürlich helfen da Bilder, die uns von vielen Seiten her bekannt wurden, aber am Ende finden wir unser eigenes Bild. Und genau dieses Bild, dieser Ort, der sich oft erst nach Jahren zeigt, befreit uns zum Leben.
Vielleicht darf deshalb niemand wissen, wie es wirklich aussieht, nach dem Tod, weil sonst die für uns passenden Bilder verloren gehen würden und damit die Einzigartigkeit eines jeden Menschen?
Tabitha Oehler
Ein Brief
Geliebter,
du bist tot! Nie wieder werde ich dein Lächeln sehen, deine Stimme hören, dich berühren können. Dieses „Nie wieder“, ist ein einziger großer Schmerz.
Du bist nicht mehr da, wir haben dich beerdigt du bist tot!
Meine Sehnsucht bleibt. ich will nicht, dass du weg bist.
Sie sagen mir: „Lass los!“ Ein Schlag ins Gesicht. Ich kann dich nicht loslassen, kann nicht meine Liebe zu dir zurücknehmen. Man sagt damit: „Du darfst nicht so fühlen, wie du fühlst!“ Du bist aber einfach da, in meinen Gedanken, in meinem Handeln, in meinen Tränen und in dieser großen Leere mitten im Herz. Wohin soll ich dich denn lassen? Ins Nichts? Meine Liebe zu dir braucht eine Richtung. Manchmal spüre ich die Angst, dass ich dich in meinem Inneren auch noch verliere, dann ist der Verlust total! Ich wehre mich dagegen, ich will dich nicht ganz verlieren, will dich nicht loslassen. Dein Leben war von großer Bedeutung für mein Leben. Ich bin ich, auch durch dich. Loslassen bedeutet für mich, dass ich einen Teil meines Lebens hinter mir lasse und verliere dadurch einen Teil meiner Identität! Mit dir nicht auch noch mich selbst verlieren!
Meine Trauer ist die Suche nach einem sicheren Ort für dich, wo du gut aufgehoben bist. Am Anfang dein Grab , dann der Regenbogen oder dieser helle Stern, der Wind, dein bleibender Platz in der Familie und … Die Erinnerungen an dich ist da, manchmal tut sie einfach zu weh und ich schiebe sie weg und manchmal schon, gelingt es mir, mit einem Lächeln an dich zu denken. Ich muss das Erinnern üben. Ich spüre dich in meinem Herzen und weiß, tief in meiner Seele bist du in mir verankert. Meine Liebe zu dir bleibt. Ich spüre dich gut aufgehoben im Unendlichen oder einfach in den Armen Gottes. Und da kann ich dich dann gut sein lassen…im doppelten Sinne des Wortes. Du darfst da weiter du sein, äußerlich weit weg und doch da. Langsam begreife ich, dass du überall da sein kannst, wo ich bin, nicht beobachtend, sondern mir Freiheit lassend, mein Leben zu leben, in Liebe. Wenn wir wollen, können wir uns da begegnen, an einem der vielen Orte, die ich für dich gefunden habe oder neu finde. Den Schmerz werde ich dann nicht mehr brauchen.
Du bleibst und du darfst mehr und mehr mein innerer Begleiter werden. Ich muss dich nicht loslassen und das gibt mit die Freiheit dich sein zu lassen.
Tabitha Oehler
Ein Vorschlag
Ich mag dich nicht, und doch muss ich mich mit dir auseinander setzten.
Immer wenn ich nach Hause komme, sitzt du schon da. Aber auch, wenn ich nach draußen gehen will, heftest du dich an meine Fersen, weichst nicht von meiner Seite.
Sitze ich mit Freunden zusammen, sitzt du neben mir, versuche ich dich weg zu drängen, grinst du mich höhnisch an und flüsterst mir ins Ohr: “ Die sehen dich doch gar nicht – merkst du denn nicht, dass sie sofort das Thema wechseln, wenn du von deiner Trauer redest?“ Ich will nicht, dass du mir das sagst, aber ich spüre den Stachel in mir. Ja, neulich, als die Waschmaschine kaputt ging, hast du mich ausgelacht, weil ich nicht wusste, wen ich anrufen soll und wer mir bei der Entscheidung helfen kann. So gerne möchte ich verreisen und habe doch Angst davor, dass du meine einzige Reisebegleiterin sein wirst, dass wir schweigend am Tisch sitzen werden, während um uns herum die Paare fröhlich tanzen. Mehr und mehr gehörst du zu mir und doch hasse ich dich und doch bist du mir schon so vertraut. Durch dich fühle ich mich wertlos, klein, unsichtbar – oder bist du bei mir, weil ich so fühle? Niemand mag dich, keiner gibt zu, dass du da bist – auch ich nicht, das würde bedeuten eine Unzulänglichkeit zuzugeben. Denn besiegen kann ich dich nicht. Je mehr ich versuche, dich aus meinem Leben zu verjagen, desto mehr klebst du an mir. Soll ich dich ignorieren? Da sorgst du schon dafür, dass dies mir nicht gelingt.
Ich denke, ich werde dich einladen zu mir, dir einen Platz geben in meinem Leben, du bist mein Gast, ein ungebetener zwar, aber Gast. Das heißt für mich, dass ich bestimme, wie ich dich bewirte, wie bequem ich es dir machen will und wann ich dich auch mal in die Schranken weise. Vielleicht hast du dann auch keine Lust mehr, dauerhaft bei mir zu wohnen. Ich denke, so halten wir es miteinander aus, ich und du, meine Einsamkeit.
T.O.